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Wiedersehen nach über 60 Jahren 

Die Schienen hier vor mir sind wohl so ziemlich das einzige, das ich noch so vorfinde, wie ich es in meiner Erinnerung habe. Das Eisenbahngleis, auf dem unser Zug damals ausgeladen wurde, verläuft immer noch in einem weiten Bogen durch die Landschaft am Stadtrand. Sicher, die Schienen sind verrostet, die Schwellen sind morsch - das Gleis wird offensichtlich nicht mehr befahren -aber es ist noch da.

Hier sind wir vor über 60 Jahren - vor einem Menschenalter - in Gomel angekommen - am 1. Juli 1945, 1500 deutsche Kriegsgefangene der Sowjetarmee aus dem Berliner Raum und von der Halbinsel Hela, langgediente Soldaten, grauhaarige Männer aus Hitlers letztem Aufgebot und Sechzehnjährige, wie ich einer war.

Das Gleis ist noch da - aber sonst hat sich alles gründlich verändert. Als wir von hier aus in die Stadt marschiert sind, war da eine kilometerlange schnurgerade Straße, rechts und links eingefasst von Ruinen zwei- und dreistöckiger Häuser, die ausgebrannt waren, von denen nur noch die Außenmauern standen - ein paar Kilometer lang ausgebrannte Mauern - und was hinter diesen Mauern stand, sah nicht viel besser aus.

“Aha,” haben wir gesagt, “das wird dann wohl unsere Arbeit sein - aber  - eine Stadt wird das wohl nie wieder!”

Es ist wieder eine Stadt geworden. Heute gibt es dort eine schier endlose vierfache Kastanienallee, die Häuser daran haben sechs und mehr Stockwerke und einige von ihnen haben klangvolle Namen - eine Universität, ein Technikum, ein Univermag - und dazwischen immer wieder Wohnhäuser, auch mit sechs Stockwerken und mehr.Wir haben damals die Ruinen dort, wo es sich noch lohnte, neu ausgebaut und den Rest abgerissen - aber von den Häusern, die so entstanden sind, steht nicht ein einziges mehr.

Wir haben ja nicht für die Ewigkeit gebaut, sondern für den Augenblick - und der Augenblick war so, dass mit jedem Tag Einwohner, die vor der Wehrmacht nach Osten geflohen waren, in die Stadt zurückkehrten und ihre Wohnungen nicht mehr fanden.Wir mussten Wohnungen für sie bauen, so schnell das möglich war - aber wie schon gesagt, heute steht von den Häusern, die wir gebaut oder ausgebaut haben, nicht eines mehr. Sie haben den Sechs- und Achtgeschossern Platz machen müssen. Gomel ist eine Großstadt  geworden.

Das einzige Haus, das ich noch gefunden habe, ist ausgerechnet der stabile Betonbau, der ursprünglich mal die Funktionsräume der städtischen Badeanstalt und Großwäscherei und dann, später - nach der Sprengung der Straßenfront 1943 - uns Kriegsgefangene beherbergt hatte. Heute ist er wieder - mit einer neuen Straßenfront, die wir angefangen haben wiederherzustellen - die Banja Nr. 1.

Damals mögen in der Stadt zehntausend, höchstens zwanzigtausend Menschen gelebt haben - heute gibt es hier eine halbe Million Einwohner. Gomel ist die zweitgrößte Stadt der Republik Belarus. Und wie in einer Großstadt ist auch der Verkehr auf der Straße. Trolleybusse, Omnibusse - und  Autos - Autos - Autos - und nicht ein Pferdewagen mehr. Damals waren die Wagen mit den kleinen flinken Pferdchen und ein paar LKW die wichtigsten, weil die einzigen Verkehrsmittel - und einen öffentlichen Personenverkehr gab es ganz und gar nicht. Man kam per Anhalter in die Stadt und fuhr genauso in die Dörfer am Stadtrand zurück. Heute kostet eine Fahrt mit dem Omnibus oder Trolleybus umgerechnet 15 Eurocent.

Und ich bin hier hinaus gefahren, an das nördliche Ende der Stadt, wo wir damals ausgeladen worden sind, und wo ich im nächsten Frühjahr im Lazarett gelegen habe. Aber wo die Lazarettbaracke gestanden hat, ist jetzt alles dicht bebaut - mit Garagen für all die Autos auf den Straßen. Da gibt es keine Erinnerungen für mich mehr.

Wenn ich mich jetzt umdrehe - dann waren dort die Lehmgruben einer alten Ziegelei ..... Die hatte die Wehrmacht 1943 durch tiefe Gräben miteinander verbunden und so ein Panzerhindernis geschaffen. Bei uns hieß das einfach "der Panzergraben" - und auf dem Boden dieses bis zu vier Meter tiefen Grabens war unser Friedhof. Dort wurden unsere Toten begraben - etwa dreißig oder vierzig an Krankheiten oder Unfällen Gestorbene - auch ein Selbstmörder, fällt mir ein ....

Da ist aber kein Graben mehr. Die Lehmgruben haben sich mit Wasser gefüllt, und so ist dort ein See entstanden."Dort unten ist ein Friedhof?" sagt mein Freund Andrej betroffen. "Als Kinder sind wir dort geschwommen - es ist sehr tief dort ...."